Der Martinstag am 11. November entwickelte sich hier bei uns am Niederrhein im Laufe der Jahrhunderte zu einem bedeutenden Feiertag, der verschiedene landwirtschaftliche und religiöse Traditionen vereinte, denn der Martinstag markierte das Ende des Bauernjahres. Zu diesem Zeitpunkt war die Ernte bereits eingebracht, das Vieh wurde geschlachtet, alle Früchte waren verarbeitet, die Knechte und Mägde durften ihre Familien besuchen und bekamen manchmal einen Martinstaler als Zugabe gereicht. Leider wurde auch die Pacht (oft als Pachtgans) fällig. Denn obwohl die Grundherren das ganze Jahr über Zins und Zehnt einzogen, war seit dem Mittelalter der Martinitag (11. November) der traditionelle Stichtag für Abgaben.
>He kömmt de Martensman, de well de Hauszins han!
De Martensman well Koke, Äppel, Birke (Birnchen) on Nösskes han!<
Zudem leitete Martini im Kirchenjahr beginnend mit einem Lichterfest die sechswöchige Adventsfastenzeit ein. Kinder zogen am Abend vor dem Martinstag durch die Nachbarschaft und sammelten Holz für das Martinsfeuer. Außerdem erhielten sie Gebäck, die sogenannten "Martinsküchelchen", welches im Fett der geschlachteten Tiere ausgebacken wurde. Dem Kinderzug voraus lief ein huckepack getragenes Kind, das sogenannte "Martinsmännlein". Später wurde das Kind allerdings auf ein Pferd gesetzt und schließlich wurde aus dem "Martinsmännlein" der heilige Martin. Der Martinstag entwickelte sich zu einem Schwellentag, ähnlich dem Aschermittwoch und so kam es, dass das "Martinsmännlein" sich später sowohl zum Heiligen Martin und als auch zum "Hoppeditz" im (nieder-)rheinischen Karneval entwickelte.
>Fastelovendsspillchen git e Marten!<
Schwängerung eines Mädchens zu Fastnacht zeigt am Martinstag die Folge.
Aufgrund von Bedenken der Obrigkeit wurden die Umzüge durch Pfarrer und Lehrer zunehmend organisierter. Den ersten offiziellen Martinszug gab es übrigens 1867 in Dülken und den ersten berittenen St. Marin im Jahre 1886 in Düsseldorf. Der Niederrhein gilt als Ursprungsregion der Martinstradition. Heute sind die Martinsumzüge am Niederrhein als immaterielles Kulturerbe des Landes NRW anerkannt.
Auch rund um unser altehrwürdiges Kloster Kamp wurde Sankt Martin gebührend gefeiert. Überlieferungen erzählen, das es früher Sitte war, dass die Jungend, die sogenannten Martinsjungen, mit ausgehöhlten Runkelrüben (Rübengeister) oder Fackeln beleuchtet mit einem "Märtenskętskən" (Martinskerze) am Martinsabend beim Heischen oder "stotzen gohn" mit sich herum trugen. Hier wurde das Brennmaterial für das Martinsfeuer bei den Bürgern unter Absingen eines Heischeliedes zusammengeholt, wobei dabei mit einem Stecken auf den Boden gestoßen wird.
>stotz, stotz, get os en ale Märteskorf (Martinskorb)!<
erhalten die Jungen nichts, dann singen sie:
>stotz, stotz, ditz, äs en ollen Gitz (Geizhals)!<
>stotz, stotz, Stollendörp, get os ene ale Märteskorf
odder en al Man, wat de Man (Korb) messe (tragen) kann,
en Büsch Strüh (Stroh), en Man (Korb)Flüh!<
>Zent Märte, de Äppel habbe Sterte (Schwänze)
hant de Äppel golde Sterte, sind de Äppel vergete.<
ra, ra, re, gerft mer en al Man (Korb)!<
Zur Belustigung der Kinder wurde am Abend vor Martini ein "Zent Märtesack" (Sankt Martinssack) aufgehangen. Der Martinssack bestand aus einer Papiertüte, die mit Süßigkeiten, Äpfeln und Nüssen, aber auch einigen Kartoffeln oder bitterschaligen Rüben gefüllt und an einer Zimmerdecke aufgehängt war. Am unteren Ende der Tüte hing ein Papierstreifen, den man anzündete. Während er brannte, hielten sich alle Kinder an den Händen und tanzten drumherum, dazu sangen die Kinder das Lied:
>Zent Märtens, zent Märtes Vögeltsche,
Rond rond Kögeltsche,
wo flog et, wo stoo et,
All ower de Rhinn, wo de fette Ferkes sin.
De fette Ferkes sölln geschlacht sin,
Heißa zent Märte!
De Kalver hebben Stärte
De Köhj hebben Hörnder
On krüppen all in de Dörnder
Heißa zent Märte!<
War die Tüte von den Flammen erfasst, fiel ihr Inhalt zu Boden. Nun galt es, im Dunkeln (es durfte kein Licht im Zimmer sein) die herausgefallenen Süßigkeiten zu finden. Besonders lustig war es anscheinend, wenn ein Kind eine bittere Rübe oder Kartoffel für einen Apfel hielt und hinein biss oder über die kullernden Kartoffeln ausrutschte. Am gleichen Abend pflegte man hier in unserer Klosterstadt, in den "Vierquartieren", auch kleine Buchweizenkuchen, die sogenannten "Sent Märede Runke" (auch Martinsküchelchen genannt), zu backen. Ein überliefertes Liedchen nimmt dazu aus dem Stadtteil Rossenray Bezug:
>Sent Märte, Sent Märtede Runke sin noch net gegäste.<
Teig ist noch nicht aufgegangen.
Auch der früher am Sankt Martinsabend geübte Brauch über ein Licht zu springen ist heute leider verschwunden. Dafür stand auf dem Fußboden der Küche oder eines Zimmers eine brennende Kerze. Wer das Licht beim Springen auslöschte, musste ein Pfand geben, welche hinterher verlost wurden.
Martinsküchelchen
- 1 Ei
- 250 ml Milch
- 125 g Buchweizenmehl
- Öl zum Braten (früher Schmalz)
Zubereitung
Das Ei trennen und das Eiweiß zu Schnee schlagen. Eigelb mit Milch und dem Buchweizenmehl anrühren. Fünf Minuten quellen lassen. Anschließend den Eischnee unterheben. Den Teig esslöffelweise mit neutralem Öl in der Pfanne ausbacken.
Bestrichen werden die kleinen Pfannkuchen mit Apfelmus, Pflaumenmus oder Apfelkraut.
Quellentext:
Karl Friedrich Flögel, Geschichte des Grotesk-Komischen
1914, München verlegt bei Georg Müller
digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz
des Trier Center for Digital Humanities
Die Fotos oben habe ich am 07.11.2024 in Kamp-Lintfort an der Ernst-Reuter-Schule gemacht.
Für mich ein ganz besonders schöner Abend zu Sankt Martin,
da mein Sohnemann als BuFDi dort den Bettler gemimt hat.
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